Das Jahr 2000

Fünf Jahre danach. Ich lese und höre Das Jahr und seine 20 Songs der Süddeutschen Zeitung. Dort ist dokumentiert, was uns beschäftigte: das Ausbleiben das 2k-Bugs, Big Brother, Gnutella und die geplatzte Börsenblase. Ebenso steht geschrieben was von vielem davon übrig blieb: Scham (vor allem über die endlosen Big-Brother-Diskussionen und darüber, irgend welche Biotech-Aktien-Fonds gekauft zu haben, die heute keinen Wert mehr haben. Beim Durchhören der 20 Songs schleicht sich eine dunkle Langeweile ein. Doch wie war das damals wirklich? Das Jahr 2000 war musikalisch relativ unergiebig, wenn man es vom Interesse für Rock-Geschichte und am Gegenstand Song her betrachtet: U2, Eminem, Sigur Ros sind in wahrscheinlich allen Bestenlisten zu finden. Madonna lieferte dank Electronica-Produzenten mit Music erneut ein gutes Album ab, OutKast mit Stankonia. Aber was soll’s. Rock-CDs waren alles Fussnoten zu einer Geschichte, die gelaufen ist, zu Paradigmen, die weitgehend erschöpft waren. Symptomträger hierfür sind Radioheads Kid A und Sigur Ros’ Ágætis Byrjun – beide verglichen mit den Electronica-CDs dieses Jahres langweilig und belanglos, völlig überbewertet. Mein Lieblings-Rockalbum findet sich allerdings auf kaum einer Bestenliste: Die Sonic Youth/Jim O’Rourke-Kollaboration NYC Ghosts and Flowers. Weißt du warum? Ich nicht. Was soll’s, denn die musikalischen Innovationen fanden nicht im Rock statt (schon einige Zeit nicht mehr, Leute!), sondern in der Elektronischen Musik. Dort fand nämlich gerade auf breiter Ebene ein Paradigmenwechsel statt, weg von Samplern, hin zu Softwarestudios. DJs legten nicht mehr nur Platten auf, sondern traten mit dem Laptop auf. Darauf liefen Programme wie MAX, Final Scratch oder Reaktor die letzteren von Native Instruments. Es wurden in der Anfangszeit dieser Met@Music (CD-Titel bei Force Inc. in 2001) alle Genres der elektronischen Tanzmusik neu durchdekliniert, mit einem neuen digitalen Sound. Das ist eine weitaus interessantere Musik als diese 20 Songs der Süddeutschen. Die Verschiebung auf der medialen Basis sorgte zwar nicht für eine ästhetische Revolution der elektronischen Musik. Die ästhetische Avantgarde setzte sich auf breiter Basis durch und durchdrang die im Laptop generierte und arrangierte Musik: Digitale Fehler (Glitches) und extreme Minimalismen beherrschen die musikalische Sprache der Zeit. Dies adelt Experimente, die vor ein paar Jahren statt gefunden haben: vor allem Oval.

Ich stellte mal einige meiner Lieblings-CDs aus dem Jahr 2000 zusammen:

Act	Titel	Label	Link	Genre/Stil
Broadcast	The Noise Made by People Warp	Warp CD 65	Link	Electronica/Analog bzw. Trip Hop
V.A.	Met@music	Force inc. 46	Link	Electronica/Laptop
Burnt Friedman	Con Ritmo	Nonplace NON03	Link	Electronica/Fusion
Blectum From Blechdom	Snauses and Mallards ep	Orthlornk Musork ORTH 02	Link	Electronica/SF Bay Scene
Terre Thaemlitz	Interstices	Mille Plateaux 094	Link	Electronica/Experimental
Susumu Yokota	Sakura	Leaf BAY 13	Link	Electronica/Ambient
Vladislav Delay	Multila	Chain Reaction CRD-09	Link	Electronica/Ambient
Dean Roberts	And the black moths play the grand cinema	Ritornell RIT 009	Link	Post Rock
V. A.	Clicks_+_cuts	Mille Plateaux 079	Link	Electronica/clicks + cuts
Peaches	The Teaches of Peaches	Kitty-Yo 55233	Link	Electronica/Electroclash
Luomo	Vocalcity	Forcetracks 14	Link	Electronica/Digital Disco
Godspeed You Black Emperor!	Lift Your Skinny Fists Like Antennas to Heaven	Kranky 43	Link	Post Rock
Oval	Ovalprocess	Form & Function 014	Link	Electronica/Experimental
Signer	Giving it up to feel effected	Involve 04	Link	Electronica/IDM
Mathias Schaffhäuser	Lido Hotel	Forcetracks 06	Link	Electronica/minimalhouse
Senking	Ping/Thaw	Karaoke Kalk 04	Link	Electronica/Ambient
General Magic	Rechenkönig	Mego 032	Link	Electronica/Glitch
Nobukazu Takemura	Finale: For Issey Miyake Men by Naori Takizawa	WEA (Japan)	Link	Electronica/Ambient
Gas	Pop	Mille Plateaux 083	Link	Electronica/Ambient
Process	Shape-space	Fat Cat FatCD09	Link	Electronica/Minimal
Arovane	Tides	City Centre Offices 01	Link	Electronica/IDM
Isolé	Rest	Playhouse 56401	Link	Electronica/minimalhouse
Beige	I don’t either	Leaf BAY 05	Link	Electronica/IDM
Rechenzentrum	Rechenzentrum	Kitty-Yo 030	Link	Electronica/Minimalhouse
Tal	an evening with Charlie	SR 187	Link	Electronica/IDM
V. A.	Maschinelle Strategeme	Ritornell 10	Link	Electronica/Experimental
Daniel Bell, The Button	Down Mind of Daniel Bell	Tresor 142	Link	Electronica/Minimal, Mix-CD
Duca, Curd	Elevator 3	Mille Plateaux 084	Link	Electronica/Experimental bzw. /Analog
Ehlers, Eckehard	Betrieb	Mille Plateaux 085	Link	Electronica/Digital Modern Classic
Soul Center (T. Brinkmann)	soul center	W.v.B., 4	Link	Electronica/Digital Soul
Auch	Kiss tomorrow goodbye	FIM-1-041	Link	Electronica/Minimalhouse
Signal	Centrum	Raster-Noton 030 (static-series 2)	Link	Electronica/Minimal
Brinkmann, Thomas	Rosa	ernst 01	Link	Electronica/Minimal
Photek	Solaris	science virgin	Link	Electronica/Drum’n’Bass
Pub	Summer	vertical form 001	Link	Electronica/Ambient bzw. /IDM
Herbert, Matthew	Globus Mix, Vol. 5: Letsallmakemistakes	Tresor 157	Link	Electronica/Minimal, Mix-CD
Klute	Fear of People	Certificate18 009	Link	Electronica/Drum’n’Bass
Biosphere	Cirque	TO:46	Link	Electronica/Ambient
Wechsel Garland	Wechsel Garland	Morr Music 016	Link	Electronica/Lo-Fi
Metamatics	Spook Tinsel Shoal	Hydrogen Dukebox 76	Link	Electronica/IDM
Gimmik	Slow Motion Process	WORM INTERFACE 025	Link	Electronica/IDM
Sonic Youth	nyc ghosts & flowers	Geffen 490650	Link	Rock, Post-Rock
Múm	yesterday was dramatic today is o.k.	TMT TMT02	Link	Indietronica
V. A. OHM	The Early Gurus of Electronic Music	Ellipsis Arts 3670	Link	Electronica/Studio, Sampler
Hazard	Wood / Bridge / Field	ASH 5.4 / 5.5	Link	Electronica/Ambient
Savath & Savalas	folk songs for trains, trees and honey	warp 080	Link	Electronica/IDM
Sigur Ros	Ágætis Byrjun	Fat  Cat FATCD11	Link	Rock/Shoegaze bzw. Post-Rock/Island